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Arzthaftung im Fokus: Radiologe darf keine "Zufallsbefunde" übersehen

Ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts Dresden vom 10. Oktober (Oberlandesgericht Dresden, Urteil vom 10.10.2023 - 4 U 634/23) wirft Licht auf die Haftungsfrage bei der radiologischen Diagnostik. In dem vorliegenden Fall wurde einem Patienten mit anhaltenden Kopfschmerzen ein MRT des Kopfes verordnet. Dabei übersah der Radiologe einen erkennbaren Nebenbefund im Ohrgang, was später schwerwiegende Folgen hatte. Doch die Arzthaftungsklage des Patienten wurde letztlich abgewiesen.

 

Der Hintergrund des Falls ist schnell erzählt: Der Kläger, der unter andauernden Kopfschmerzen litt, wurde von seinem Hausarzt zu einem Radiologen überwiesen, um mittels MRT die Ursache abklären zu lassen. Das MRT wurde am 20. Mai 2014 durchgeführt, wobei der Radiologe den Befund als altersentsprechend und unauffällig bewertete. Allerdings entdeckte ein späteres CT, das wegen Schwindel, Kopfschmerzen und Ohrdruck erstellt wurde, ein Perlgeschwulst des Ohres (Cholesteatom). Die daraufhin erfolgte operative Entfernung des Geschwulsts führte zu Lähmungen im Gesicht des Klägers.

 

Dieser warf dem Radiologen vor, den erkennbaren Befund übersehen zu haben, was zu einer Verzögerung der Behandlung und weiterem Wachstum des Geschwulsts führte. Er erhob Klage auf Schmerzensgeld und Schadensersatz, doch das Landgericht wies die Klage als unbegründet ab. Obwohl ein einfacher Behandlungsfehler des Radiologen festgestellt wurde, konnte das Gericht nicht nachweisen, dass dieser Fehler für den Schaden ursächlich war. Daraufhin ging der Kläger in Berufung.

 

Das Oberlandesgericht entschied schließlich, dass zwar ein einfacher Diagnoseirrtum vorlag, jedoch der Beweis für die Kausalität der zeitlichen Verzögerung der Behandlung für den eingetretenen Schaden nicht erbracht werden konnte.

 

Entscheidend ist die Feststellung des Gerichts, dass der Radiologe nicht nur auf den spezifischen Untersuchungsauftrag beschränkt ist, sondern sich seiner Fürsorgepflicht gegenüber dem Patienten bewusst sein muss. Das bedeutet, dass er auch sogenannte "Zufallsbefunde" nicht ignorieren darf. Ein Fehler des Radiologen wurde festgestellt, jedoch nicht als schwerwiegender Befunderhebungsfehler, da der Nebenbefund außerhalb des Gehirnschädels lag und eine eigene Bewertungspflicht des Radiologen nicht bestand.

 

Das Urteil wirft jedoch auch kritische Fragen auf, insbesondere bezüglich des Umfangs der radiologischen Tätigkeit. Wenn ein Radiologe sich nicht auf den spezifischen Auftragsumfang beschränken kann, wie weit reicht dann seine Verantwortung? Die praktische Umsetzung dieses Urteils könnte für Radiologen zu Problemen führen, da ihr Pflichtenkreis erweitert wird, ohne dass diese zusätzliche Tätigkeit vergütet wird.

 

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Haftungsfrage im medizinischen Bereich stets komplex ist und von Fall zu Fall individuell betrachtet werden muss.