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Zur Haftung des Heilpraktikers bei Standardunterschreitungen

 

Auch Heilpraktiker haben sich an einen für ihre Berufsausübung geltenden Standard zu halten. Im Falle einer Standardunterschreitung haben Sie für den daraus dem Patienten entstehenden Schaden einzustehen. Die Haftung richtet sich nach den gesetzlichen Regelungen zum Behandlungsvertrag, §§ 630a ff. BGB.

 

Dazu hat das Oberlandesgericht München am 25. März 2021 (Az. 1 U 1831/18) eine richtungsweisende Entscheidung getroffen.

 

Sachverhalt

 

Der hiesige Kläger machte nach dem Ableben seiner Mutter gegen deren Heilpraktiker Schmerzensgeldansprüche aus ererbten Recht geltend. Außerdem verfolgt er unter anderem Ansprüche aufgrund eines Barunterhaltsschadens aus eigenem Recht.

 

Die Mutter des Klägers litt an einer Tumorerkrankung (Zervixkarzinom nach vorangegangener HPV-Infektion), deren Folgen sie letztlich auch erlag. Der Kläger war der Auffassung, dass für die Tumorerkrankung seiner Mutter bei Durchführung und einer notwendigen und von ärztlicher Seite angeratenen schulmedizinischen Behandlungen gute Heilungschancen bestanden hätten. Die Mutter des Klägers hatte zunächst eine Strahlentherapie begonnen, diese später aber abgebrochen. Der Kläger hat im Klageverfahren behauptet, die Beklagte Heilpraktikerin habe seiner Mutter wiederholt und in verschiedener Hinsicht von schulmedizinischen Therapieempfehlungen abgeraten und ein nicht gerechtfertigtes Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Körpers geweckt. Anstatt der Durchführung einer schulmedizinischen Behandlung habe sich die Verstorbene auf eine wirkungslose alternativmedizinische Behandlung einer Schlangengifttherapie verlassen. Der Kläger hat mit der Klage vorgetragen, die Beklagte habe ihre Pflicht zur therapeutischen Sicherungsaufklärung verletzt. Die Behandlungsfehler hätten in der Folge zu einem unheilbaren Krankheitsverlauf, zu einer Palliativbehandlung und schließlich zum Tod der Mutter des Klägers geführt.

 

Die Beklagte ist dem im Klageverfahren entgegengetreten. Sie behauptet, dass die Verstorbene sich bewusst und eigenverantwortlich gegen eine Fortführung der schulmedizinischen Behandlung entschieden habe und ihr Tod auch bei Durchführung der schulmedizinischen Behandlung nicht vermieden worden wäre. Der Abbruch der Bestrahlung sei primär aufgrund extremer Nebenwirkungen der eingeleiteten Strahlentherapie erfolgt. Die Risiken des Verzichts auf eine Fortführung der schulmedizinischen Behandlung seien der Geschädigten aufgrund von ärztlicher Seite aus erfolgter Aufklärung bewusst gewesen.

 

Entscheidung des Landgerichts Passau

 

In der ersten Instanz hat das Landgericht Passau die Klage als unbegründet abgewiesen. Ansprüche sollten danach ausscheiden nach Auffassung des Landgerichts aus, da die durchgeführte Beweisaufnahme nicht ergeben habe, dass eine haftungsbegründende Kausalität zwischen etwaigen Pflichtverletzungen bei der Behandlung und den geltend gemachten Schäden bestünde. Die Ursache für die Verschlechterung des Krebsleidens und den Tod der Geschädigten liege hier nicht in der Behandlung durch die Beklagte an sich, sondern im Abbruch einer außerhalb des Verantwortungsbereichs der Beklagten begonnenen medizinischen Behandlung. Ein bestimmender oder auch nur mitursächlicher Einfluss der Beklagten auf diese Entscheidung der Geschädigten lasse sich auf Grundlage der Beweisaufnahme nicht begründen. Es habe sich bei der Verstorbenen um eine hinsichtlich des Krankheitsbildes und der Behandlungsrisiken und -alternativen in jedem Krankheits- und Behandlungsstadium voll aufgeklärte Patientin gehandelt, welche sich aus freiem Willen zur Beendigung der begonnenen schulmedizinischen Therapie entschieden habe. Als einziger Ansatzpunkt für eine mögliche Haftung bleibe, dass die Beklagte ihre Patientin nicht mit dem erforderlichen Nachdruck zur Fortsetzung der Strahlenbehandlung angehalten und darauf hingewiesen habe, dass die Schlangengiftpräparate keine wirksame Alternative für die Tumorbehandlung darstellte. Das Verhalten der Beklagten sei aber angesichts der vollumfänglichen Aufklärung von ärztlicher Seite nicht nachweisbar kausal gewesen.

 

Berufungsverfahren vor dem OLG München

 

Der Kläger hat mit seiner Berufung gegen das Urteil seine erstinstanzlichen Ansprüche vollumfänglich weiterverfolgt. Im Verlauf des Berufungsverfahrens hat der Kläger sein Vorbringen ergänzt und vertieft. Die Beklagte habe die Verstorbene massiv und "gehirnwäscheähnlich" beeinflusst. Die Verstorbene sei der Heilpraktikerin hörig gewesen.

 

Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht dieser abgeholfen und den Ansprüchen des Klägers überwiegend stattgegeben.

 

Die Beklagte ist bei der Behandlung von dem als Heilpraktikerin geschuldeten Standard abgewichen und hat dadurch den Tod der Mutter des Klägers verursacht. Das Gericht hat festgestellt, dass zwischen der Verstorbenen und der Beklagten ein Behandlungsvertrag bestand, auf den die Vorschriften der §§ 630 a ff. BGB auch dann anzuwenden sind, wenn die Behandlung durch einen Heilpraktiker erfolgt. Die Beklagte musste sich an dem insoweit etablierten Standard einer Behandlung durch den Heilpraktiker festhalten lassen.

 

Es bestehen für das Berufungsbereich bereits Zweifel daran, ob die Beklagte hinreichend qualifiziert war, die naturheilkundliche Betreuung einer onkologisch erkrankten Patientin auch nur im Sinne einer Begleittherapie zu übernehmen. Die relevante Fortbildung lag zum Zeitpunkt der Behandlung zehn Jahre zurück und hatte nur ca. 8 Stunden inklusive Pausen betragen. Auch sonst hatte die Klägerin seit ihrer Ausbildung keine weiteren Fortbildungen in den relevanten Bereichen mehr gemacht.

 

Weiter erscheint dem Gericht die Sinnhaftigkeit einer Schlangengifttherapie von vorneherein zweifelhaft. Ihre Evidenz ist nicht belegt. Sie durfte jedenfalls im Zustand der Mutter des Klägers nicht als alleinige Therapie für ausreichend angesehen werden, sondern die Patientin brauchte eine medizinische Behandlung. Die entsprechende Beratung der Patientin war nach den für Heilpraktiker geltenden Maßstäben ausführlich zu dokumentieren. Die Beklagte schuldete zwar nicht einen Hinweis auf die überlegene Kompetenz der Fachmedizin, denn die lag auf der Hand. Sie schuldete aber einen Hinweis auf die Unzulänglichkeit ihrer Methode. Nach der geltenden Rechtsprechung ist ein Heilpraktiker nicht verpflichtet, auf die überlegenen Diagnose- und Therapiemöglichkeiten der Schulmedizin hinweisen und dabei darüber zu informieren, dass die von ihm empfohlene Therapie wissenschaftlich nicht allgemein anerkannt ist (OLG München 1 U 5100/97; OLG Stuttgart, 14 U 25/97). Der Vorwurf der fehlerhaften therapeutischen Aufklärung, den das Berufungsgericht formuliert, reicht in dem konkreten Fall aber weiter als das Unterlassen eines Hinweises auf einen fehlenden wissenschaftlichen Wirknachweis.

 

Die unzureichende therapeutische Aufklärung ist nach der Entscheidung des OLG München auch ursächlich für den Tod der Mutter des Klägers geworden. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers angenommen und festgestellt, dass die gesetzlich vorgesehene Beweislastumkehr grundsätzlich auch in den Fällen einer fehlerhaften therapeutischen Aufklärung greift (BGH VersR 2005, 228). Wäre die Mutter des Klägers dem geschuldeten, aber durch die Beklagte unterlassene Rat gefolgt, hätte sie gute Heilungschancen gehabt. Dies folgt für das Gericht aus dem Ergebnis einer Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Bei konsequent durchgeführter Strahlentherapie hätte die Überlebenswahrscheinlichkeit bezogen auf den Tod mehr als 98% betragen.

 

Das Gericht hat ein Mitverschulden der Verstorbene angenommen, und dies mit einer Quote von 1/3 berücksichtigt. Das Schmerzensgeld hat der Senat des Berufungsgerichts mit 30.000 € bemessen. Weitere Barunterhaltsschäden hat das Gericht dem Kläger unter Berücksichtigung der Quote des Mitverschuldens der Verstorbenen zugesprochen.

 

Bewertung der Entscheidung

 

Die Entscheidung des OLG München ist grundsätzlich zu begrüßen. Sie hebt hervor, dass die Behandlung des Heilpraktikers ebenso einem Standard unterliegt, wie die ärztliche Behandlung. Zwar lässt sich hier nicht die Verpflichtung des Heilpraktikers formulieren, auf die überlegenen Diagnose- und Therapiemöglichkeiten der Schulmedizin hinweisen und dabei darüber zu informieren, dass die von ihm empfohlene Therapie wissenschaftlich nicht allgemein anerkannt ist. Wenn aber eine Patientin eine medizinische Behandlung abbricht, und sich damit in eine lebensbedrohliche Situation bringt, dann ist es auch von dem behandelnden Heilpraktiker zu verlangen, die Patientin darüber eindringlich aufzuklären, dass die nicht schulmedizinische Behandlung hier als alleinige Therapieform geeignet ist.