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BGH-Urteil vom 6. Mai 2021 IX ZR 72/20 – Zeitenwende für den Gläubigerschutz im Anfechtungsprozess –

Der Wirtschaftsverkehr ist ein Geben und Nehmen, Kaufen und Verkaufen. Das läuft im Allgemeinen reibungslos. Der eine Teil bestellt und bezahlt, der andere Teil liefert und kassiert. Alle sind zufrieden. Eine elementare Störung dieses Verhältnisses ist die Insolvenz. Für den Schuldner, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet ist, hat das eher positive wirtschaftliche Folgen. Ist er redlich, wird ihm die Gelegenheit gegeben, sich von seinen Verbindlichkeiten zu befreien. Die Kehrseite für den Gläubiger ist, dass er seiner Forderung verlustig geht. Vielleicht erhält er noch eine Quote, wenn Masse zu verteilen ist. Den wesentlichen Teil seiner Forderung wird er jedoch zumeist abschreiben müssen. Die Situation kann sich weiter verschlechtern, wenn Rechtshandlungen, also im Wesentlichen Rechtsgeschäfte, nach §§ 129 ff. InsO angefochten werden können. Der Gläubiger wird bei wirksamer Anfechtung dann verpflichtet, auch bereits erhaltene Zahlung in die Insolvenzmasse einzubringen (§ 143 InsO). Das zu verhindern ist nicht einfach, aber auf der Grundlage einer geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes deutlich aussichtsreicher geworden. Der Bundesgerichtshof hat die Position des Gläubigers im Rahmen der Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung (§ 133 InsO) gestärkt.

 

Soweit die Rechtsprechung bisher angenommen hat, dass ein Schuldner, der zahlungsunfähig ist und seine Zahlungsunfähigkeit kennt, in aller Regel mit Benachteiligungsvorsatz handelt, kann nach der oben genannten Entscheidung des BGH nicht mehr allein darauf abgestellt werden, dass der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit kannte. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Schuldner wusste und jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig befriedigen zu können.

 

In einem Anfechtungsrechtstreit hat der vom Gericht eingesetzte Insolvenzverwalter somit darzulegen und zu beweisen, dass der Schuldner bei Erfüllung seiner Verbindlichkeit mit Benachteiligungsvorsatz gehandelt hat und der Gläubiger Kenntnis von diesem Vorsatz hatte, wobei die Vermutung von § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO dem Insolvenzverwalter eine gewisse Erleichterung erfährt.

 

Die jetzt vom Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vorgenommene Modifizierung des Benachteiligungsvorsatzes hat durchgreifende Konsequenzen für die Feststellung der Kenntnis des Gläubigers davon.

 

In der oben genannten Entscheidung heißt es dazu: „Die Rechtsprechung, wonach allein aus der vom Anfechtungsgegner erkannten Zahlungsunfähigkeit gefolgert wird, dass dieser in der Regel auch über den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners im Bilde ist, bedarf einer neuen Ausrichtung (BGH in ZIP 2016, 1686 Rd.-Nr. 14 mwN).“

 

Der Bundesgerichtshof stellt somit zur Feststellung der Kenntnis des Gläubigers von dem Benachteiligungsvorsatz nicht mehr allein darauf ab, dass dieser im Zeitpunkt der Rechtshandlung von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners wusste. Es muss vielmehr hinzukommen, dass er weiß, dass der Schuldner auch künftig seine Gläubiger nicht vollständig befriedigen kann. Der Gläubiger und Anfechtungsgegner muss also die Umstände kennen, aus denen sich ergibt, dem Schuldner, also seinem Geschäftspartner, fehlen derzeit die notwendigen finanziellen Mittel und er wird sie auch künftig nicht erlangen, um seine Gläubiger befriedigen zu können. Hierfür muss der Insolvenzverwalter den Vollbeweis erbringen.

 

Das Landgericht Verden hat kürzlich in zwei von unserer Kanzlei intensiv vorbereiteten und geführten Prozessen die neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Es gibt gewichtige Anzeichen, dass auch das Oberlandesgericht Celle entsprechend urteilen wird.