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Zur Würdigung außergerichtlicher, medizinischer Sachverständigengutachten im Arzthaftungsprozess

Im Rahmen des Arzthaftungsprozesses ist es immer wieder Thema, welche Bedeutung außergerichtlich eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten im gerichtlichen Verfahren zukommen. Gerade dann, wenn das Privatgutachten Behandlungsfehler verneint, lassen Gerichte häufig die Tendenz erkennen, die Darlegungslasten eines Behandlungsfehlers zu Lasten der Aktivseite zu überspannen. 

 

Dieser Entwicklung ist der Bundesgerichtshof (BGH) mit einem Beschluss vom 12. März 2019 nochmals entschieden entgegengetreten. Er betont, dass gemäß der gefestigten Rechtsprechung das Gutachten einer medizinischen Schlichtungsstelle im Rahmen des Arzthaftungsprozesses im Wege des Urkundenbeweises gewürdigt werden kann. Damit geht weder die Erhöhung der Darlegungslast des Patienten einher, noch ist ein vorgerichtliches Schlichtungsgutachten geeignet, den Sachverständigenbeweis zu ersetzen.

Entscheidung des Gerichts

In dem vom BGH bewerteten Rechtstreit nimmt die Klägerin die Beklagten nach dem Tod Ihrer Mutter aus eigenem und ererbten Recht auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch. Sie führt den Tod ihrer Mutter auf einen ärztlich unerkannt und unbekannt gebliebenen Darmverschluss zurück. 

 

Der gerichtlichen Auseinandersetzung ging ein Schlichtungsverfahren vor der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der zuständigen Ärztekammer voraus. Im Rahmen dieses Schlichtungsverfahrens ist durch Beauftragung der Schlichtungsstelle ein neurochirurgisches Gutachten zu den Streitfragen erstellt worden, das jedoch keine Fehler der behandelnden Ärzte feststellen konnte. 

 

Die Klägerin verfolgte ihre Ansprüche darauf gerichtlich weiter. Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens erster Instanz ist ein Sachverständigengutachten nicht eingeholt worden. Gegen ein klageabweisendes Urteil legte die Klägerin Berufung ein. Das Berufungsgericht hielt einen etwaigen Behandlungsfehler wiederum nicht für hinreichend substantiiert dargetan und hat die Berufung zurückgewiesen. Insbesondere habe die Klägerin gegen die gutachterliche Einschätzung aus dem Schlichtungsgutachten keine substantiierten Einwendungen erhoben, die die Einholung eines Sachverständigengutachtens auch unter Berücksichtigung der im Arzthaftungsprozess geltenden geringen Anforderungen an die Darlegungslast erforderlich machten. Die Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu. Dagegen hat sich die Klägerin mit einer Nichtzulassungsbeschwerde an den BGH gewendet.

 

Der BGH stellte daraufhin fest, dass das Berufungsgericht mit seinen Ausführungen die an einen hinreichend substantiierten Klagevortrag zu stellenden Anforderungen überspannt und damit in entscheidungserheblicher Weise das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt hat.

 

An die Substantiierungspflichten des Patienten im Arzthaftungsprozess sind nach der gefestigten Rechtsprechung nur maßvolle Anforderungen zu stellen. Denn vom Patienten können keine genauen Kenntnisse der medizinischen Vorgänge erwartet werden. Ihm fehlt sowohl das genaue Einsehen in das Behandlungsgeschehen wie auch erforderliches Fachwissen. Die Patientenseite darf sich auf einen Vortrag beschränken, der die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens der Behandlungsseite aufgrund der Folgen für den Patienten gestattet. Das Gericht trifft dann eine gesteigerte Verpflichtung des Gerichts zur Sachverhaltsaufklärung. Dies kann auch zur Folge haben, dass das Gericht von Amts wegen ein Sachverständigengutachten einzuholen hat, wenn dies erforderlich ist, um den Sachverhalt aufzubereiten. 

 

Nichts anderes gilt im Fall, dass bereits im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens ein ärztliches Gutachten eingeholt worden ist. Ansonsten wäre der Patient im Falle eines für ihn ungünstig ausgegangenen Schlichtungsverfahrens gezwungen, sich medizinisches Fachwissen anzueignen, um einen schlüssigen Klagevortrag zu halten. Damit würden seine Möglichkeiten, den begehrten Anspruch gerichtlich geltend zu machen, maßgeblich erschwert. Schon gar nicht ist das Schlichtungsgutachten geeignet, ein gerichtliches Sachverständigengutachten zu ersetzen. Mangels gerichtlicher Veranlassung genügt es den Anforderungen des § 416 ZPO nicht. Als Urkunde kann es in den Prozess eigeführt werden. Als solches bezeugt es gemäß § 416 ZPO nur, dass der Schlichtungsgutachter dieses Gutachten erstattet hat.

Bewertung

Der Entscheidung des BGH ist nicht nur rechtlich beizupflichten. Sie ist auch deshalb zu begrüßen, da aus ihr beeindruckend deutlich hervorgeht, dass die Darlegungslasten der Aktivseite im Arzthaftungsprozess maßvoll zu betrachten sind. Damit ist der BGH der äußerst bedenklichen Entwicklung entgegengetreten, die ohnehin häufig prozessual schwierige Position der Patientenseite bei der Vermutung von Behandlungsfehlern dadurch zu verschlechtern, dass ihr medizinisches Detailwissen abverlangt wird, um vorgerichtlichen ärztlichen Einschätzungen entgegenzutreten. So galt es zu befürchten, dass die Schlichtungsstellen der Ärztekammern ihre Funktion verlieren würden, wenn sie sich für die Patientenseite in einem Prozess negativ auszuwirken drohen. Dieses Risiko scheint auch der BGH erkannt zu haben.